»Unsere Gegner, die russischen Diplomaten, haben zwei Stimmen verloren«, sagte der georgische Außenminister Grigol Vaschadse. In der vergangenen Woche stimmten 50 Staaten einer Resolution zu, in der gefordert wird, dass aus Abchasien und Südossetien geflüchtete Georgier zurückkehren dürfen. Es gab nur 17 Gegenstimmen, doch eine Mehrheit von 86 Regierungen enthielt sich. Ohnehin ist die Resolution der UN-Generalversammlung nicht bindend, bereits in den Jahren 2008 und 2009 waren ähnliche Beschlüsse gefasst worden.
Die wachsende Unterstützung betrachtet die georgische Regierung dennoch als diplomatischen Erfolg. Präsident Michail Saakaschwili hatte im August Kolumbien und andere lateinamerikanische Länder besucht. Er wollte verhindern, dass andere Regierungen dem Beispiel des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez folgen, der die Unabhängigkeit Abchasiens anerkannt hatte.
In der georgischen Hauptstadt Tbilissi veranstaltete Amnesty International eine Pressekonferenz, um auf die Not der etwa 250 000 Binnenflüchtlinge aufmerksam zu machen. Sie waren nach dem Ausbruch des Krieges im August 2008 aus den Provinzen Abchasien und Südossetien geflohen, die nun von russischen Truppen beherrscht werden. Der russische Präsident Dmitrij Medwedjew besuchte im August die beiden Provinzen, in denen die Militärführung neue Raketen stationieren will.
In den vergangenen Monaten sind einige Bücher über den Konflikt erschienen. Die historische Perspektive beschränkt sich jedoch meist auf eine Erörterung des Zusammenbruchs der Sowjetunion. Um den Konflikt verstehen zu können, muss man jedoch weiter zurück in die Vergangenheit blicken.
Die Unabhängigkeit Georgiens war immer gefährdet. Im Jahr 1783 unterstellte sich die herrschende Dynastie dem Schutz Russlands. Doch bereits 17 Jahre später wurde Georgien dem Russischen Reich angeschlossen. Nach der Revoluti on erlangte das Land 1917 die Unabhängigkeit, unter Führung der Menschewisten wurde dort ein demokratischer sozialistischer Staat geschaffen. Doch 1921 befahl Stalin die Besetzung Georgiens. Es war daher von symbolischer Bedeutung, dass nach der Unabhängigkeitserklärung in den frühen neunziger Jahren die Fahne der damaligen Republik übernommen und der Tag der menschewistischen Staatsgründung, der 26. Mai, zum Nationalfeiertag erklärt wurde.
In den vergangenen 20 Jahren gab es in Georgien zahlreiche Veränderungen und politische Revolten, konstant blieb jedoch der Druck Russlands. Die russische Regierung behauptet, nur die Minderheiten in Abchasien und Südossetien zu schützen. Medwedjew und Premierminister Wladimir Putin haben diese Provinzen mit dem Kosovo verglichen und den Westen gewarnt, dass diese sich für unabhängig erklären würden, wenn das Kosovo sich von Serbien trennen darf.
Die Unabhängigkeit des Kosovo mag fragwürdig sein, doch unbestritten ist, dass dort eine Mehrheit von Albanern wohnt, die sich von Serbien unterdrückt fühlt. In Abchasien hingegen waren die Georgier die Mehrheit, bis zu den »ethnischen Säuberungen« in den neunziger Jahren. Mit russischer Unterstützung vertrieben die abchasischen Separatisten damals etwa 250 000 Menschen.
Die russische Regierung ist vor allem erbost darüber, dass Georgien sich hartnäckig jeder Einflussnahme verweigert und die Aufnahme in die Nato sowie die EU anstrebt. Gemäß der von Putin formulierten außenpolitischen Doktrin muss Russland seinen Einfluss in den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion erhalten. In diesen als »nahes Ausland« bezeichneten Staaten ist die Nato nicht willkommen.
Auch die meisten georgischen Oppositionellen befürworten die Nato-Mitgliedschaft und die europäische Integration. Präsident Saakaschwili wird zugute gehalten, dass er das Land stabilisiert habe, ihm werden jedoch schwerwiegende Fehler in der Politik gegenüber Russland und eine autoritäre Innenpolitik vorgeworfen. Die Gewerkschaften kritisieren, dass Saakaschwili und seine Minister eine wirtschaftsliberale Politik betreiben, Staatsbetriebe privatisieren und jeden soziale Schutz abschaffen.
In der europäischen Linken ist das Interesse für die georgische Innenpolitik wie auch für den Konflikt mit Russland gering. Die meisten befassen sich lieber mit angeblichen israelischen Kriegsverbrechen als mit »ethnischen Säuberungen« in Georgien. Das Interesse war früher größer. Viele europäische Linke unterstützten 1921 die georgischen Menschewisten. Karl Kautsky, der mehrere Monate in Georgien verbrachte, betrachtete das Land damals als alternatives Modell eines sozialistischen Staates. Doch vom menschewistischen Georgien ist nichts übrig geblieben. Saakaschwili hat sogar eine andere Nationalfahne eingeführt, die das Rot der demokratischen Sozialisten durch explizit christliche Symbole ersetzt. Während es einige Museen gibt, die den in Georgien geborenen Stalin ehren, existiert keines, das an die menschewistische Vergangenheit erinnert.
Georgien, das weiterhin dem Druck Russlands ausgesetzt ist, soll nach dem Willen der Regierung nun ein kapitalistischer Musterstaat werden. Doch die westlichen Regierungen halten sich nicht nur mit der Kritik an Saakaschwili zurück. Da sie eine Verbesserung der Beziehungen zu Russland wünschen, bleibt die Unterstützung Georgiens dürftig. Das gilt vor allem für Deutschland, dessen Politiker großes Interesse an der Erschließung der russischen Energievorräte haben.