Streiken gegen den Pharao

This article appeared in both the print and online editions of Jungle World.
Nicht nur über Facebook wurden die Proteste in Ägypten organisiert. Die sozialen Netzwerke der Lohnabhängigen waren entscheidend
für den Sturz Mubaraks.
»Wir streiken vor allem, um unsere Solidarität mit den Protestierenden auf dem Tahrir-Platz zu zeigen«, sagte Faisal Naousha vom Streikkomitee der Misr Spinning and Weaving Company in Mahalla al-Kubra, der mit mehr als 25 000 Beschäftigten größten Fabrik Ägyptens. Die Stadt ist ein Zentrum der kämpferischen Gewerkschaftsbewegung, doch in der vergangenen Woche begannen auch Streiks in zahlreichen anderen Betrieben und Institutionen. Postangestellte, Stahlarbeiter, Busfahrer und viele andere Beschäftigte im privaten und staatlichen Sektor wollten nicht mehr für das Regime Hosni Mubaraks schuften.
Zu Boden gegangen. Langsam leert sich der Tahrir-Platz in Kairo, der das Zentrum der Proteste bildete. Mubarak ist indes schon Geschichte (Foto: PA/Leglise Bataille)
Die Medien konzentrieren sich auf die sozialen Netzwerke Facebook und Twitter sowie auf das Vorbild Tunesiens. Doch ohne die sozialen Netzwerke der Lohnabhängigen hätte sich der Tahrir-Platz nicht füllen können, und die Ursachen des Aufstands liegen in Ägypten. Die Revolution sollte niemanden überraschen. Viele ältere Ägypter erzählen, dass die Verhältnisse unter Gamal Abd al-Nasser besser gewesen seien. Alle Betriebe mit mehr als 200 Beschäftigten wurden verstaatlicht, es gab eine gewisse soziale Absicherung. Ägypten war ein Einparteienstaat, es gab keine Meinungs- und Organisationsfreiheit. Doch der Lebensstandard stieg. Das änderte sich nach 1973. Unterstützt von der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds begann Anwar al-Sadat eine Privatisierungspolitik, hunderte Staatsunternehmen wurden verkauft. Das Ergebnis war ein hohes Wirtschaftswachstum, in den vergangenen Jahren betrug es durchschnittlich sechs Prozent pro Jahr. Doch gleichzeitig wuchsen Armut und soziale Ungleichheit.
Denn bei der Einparteienherrschaft blieb es, auch wenn einige Oppositionsgruppen mit einem halblegalen Status geduldet wurden. Unabhängige Gewerkschaften aber ließ das Regime nicht zu, es gab nur die Mitgliedsorganisationen der Egyptian Trade Union Federation (ETUF), die seit ihrer Gründung in den fünfziger Jahren keinen einzigen Streik unterstützt hat. Die Arbeiter hatten keine legale Möglichkeit, sich gegen die Ausbeutung und den sinkenden Lebensstandard zu wehren.
Deshalb begann im Jahr 2004 eine beispiellose Welle illegaler Arbeitskämpfe, die bis heute anhält. In den ersten vier Jahren gab es 1 900 Streiks, an denen sich etwa 1,7 Millionen Lohnabhängige beteiligten. Die Arbeitskämpfe begannen in der Textilindustrie, der bedeutendste Streik fand in den Jahren 2006 und 2007 in der Misr Spinning and Weaving Company statt. Doch auch Bau- und Transportarbeiter, Beschäftigte der Nahrungsmittelindustrie und Angestellte der U-Bahn von Kairo traten in den Ausstand. Die vom Regime kon­trol­lierte ETUF sprach sich gegen die Streiks aus und unterstützte die Privatisierungspolitik.
Ein Wendepunkt war im Dezember 2007 erreicht, als die kommunalen Steuereinnehmer nicht nur die Arbeit niederlegten, sondern auch ein dreitägiges Sit-in organisierten. Etwa 10 000 Menschen ließen sich auf der Straße in Kairo vor dem Büro des Premierministers nieder. Das konnte man nicht ignorieren, und die Regierung sah sich im vergangenen Jahr gezwungen, erstmals eine unabhängige Gewerkschaft zuzulassen.
Eine wichtige Rolle spielten NGO, die die Streiks und Proteste unterstützten. Das Regime ließ ihre Büros schließen und ihre Anführer verhaften. Die bekannteste dieser Gruppen ist das Centre for Trade Union and Workers Services (CTUWS), das seit 1990 exisitiert. Die NGO sorgten für die Unterstützung der Gewerkschaften aus anderen Ländern, und diese Unterstützung war entscheidend, vor allem, um die Regierung zu einer Milderung der Repression zu bewegen.
Die Verbindung zur internationalen Gewerkschaftsbewegung war auch wichtig in der derzeitigen Revolte. Als das Regime Mubaraks versuchte, Ägypten vom Internet abzuschneiden, waren es Mitglieder des CTUWS, die täglich Berichte an das Solidarity Center des US-Gewerschaftsverbandes AFL-CIO in Washington schickten. Die Berichte wurden aus dem Arabischen übersetzt und über Websites wie Labour Start in der internationalen Gewerkschaftsbewegung verbreitet.
Die International Trade Union Confederation (ITUC), die nach eigenen Angaben 176 Millionen Lohnabhängige vertritt, sicherte den Ägyptern »volle Unterstützung bei ihrem Streben nach fundamentalen Freiheiten und Rechten« zu. Der Verband rief zu einem internationalen Solidaritätstag am 8. Februar auf, die Mitgliedsgewerkschaften wurden aufgefordert, in aller Welt Demons­trationen vor den ägyptischen Botschaften zu organisieren. Es ist unklar, wie viele Gewerkschaften dem nachkamen. In London beispielsweise gab der Gewerkschaftsverband TUC an, die Zeit habe für die Vorbereitung einer Kundgebung nicht ausgereicht, und begnügte sich damit, der ägyptischen Botschaft einen Brief zu übergeben.
In Tel Aviv demonstrierten am 8. Februar Mitglieder zweier kleiner Gewerkschaften vor der ägyptischen Botschaft, doch der israelische Gewerkschaftsverband Histadrut beteiligte sich nicht. Die Histadrut, die der ITUC angehört, hat nicht einmal Stellung dazu genommen. Ihr Vorsitzender Ofer Eini, einer der Vizepräsidenten der ITUC, nahm an dem Treffen, auf dem der internationale Solidaritätstag beschlossen wurde, nicht teil. Offenbar folgt die Histadrut dem Beipiel der israelischen Regierung und hält sich zurück.
Die Palestine General Federation of Trade Unions (PGFTU), die palästinensische Mitgliedsgewerkschaft der ITUC, hat sich bislang ebenfalls nicht zu der Revolte in Ägypten geäußert und wollte dies auch auf Anfrage nicht tun. Doch ist es wahrscheinlich, dass sie die Proteste unterstützt. Die Beziehungen zu den offiziellen ägyptischen Gewerkschaften sind schlecht, denn gemeinsam mit anderen staatlich kontrollierten Gewerkschaften haben sie die PGFTU von regionalen Treffen ausgeschlossen, weil der palästinensische Verband mit der Histadrut »kollaboriert«. Im vergangenen Jahr sprach ein Repräsentant der PGFTU bei einer Veranstaltung des CTUWS in Kairo.
Dort wurde mittlerweile ein neuer Gewerkschaftsverband gegründet, basierend auf den Gruppen, die in den vergangenen Jahren während der Streiks entstanden und unabhängig von der ETUF sind. Während einer Pressekonferenz auf dem Tahrir-Platz sagten Repräsentanten der Textilarbeiter, der Steuereinnehmer und anderer Gruppen, dass »die Arbeiterbewegung das Herz und die Seele der ägyptischen Revolution« sei und der Aufstand mit den »Tausenden von Streiks, Sit-ins und Protesten der ägyptischen Arbeiter in den vergangenen Jahren« verbunden sei.
Es gibt keine exakten Parallelen, aber vieles erinnert an die Solidarnosc-Bewegung in Polen (Jungle World, 32/10). Wie in Ägypten gab es dort einen repressiven Einparteienstaat, dessen Gewerkschaften die Interessen der Herrschenden vertraten. Es gab aber auch ein Netzwerk von NGO, die im Untergrund in Betrieben und Stadtvierteln arbeiteten. Das Ergebnis war der Streik auf der Lenin-Werft in Gdansk im August 1980. Die Regierung war gezwungen, die Gründung der unabhängigen Gewerkschaft Solidarnosc zuzulassen, die bald darauf eine umfassende Demokratisierung forderte.
Es war ursprünglich nicht das Ziel der streikenden Textilarbeiter und kommunalen Steuereinnehmer, das repressive und korrupte Regime Mubaraks zu stürzen. Sie reagierten auf unerträgliche Arbeits- und Lebensbedingungen, und ihre Forderungen waren zunächst bescheiden. Doch die Repression politisierte die Bewegung, die Zahl der Arbeitskämpfe und Proteste nahm zu. Nun hat die Streikbewegung entscheidend zum Sturz Mubaraks beigetragen.

Nicht nur über Facebook wurden die Proteste in Ägypten organisiert. Die sozialen Netzwerke der Lohnabhängigen waren entscheidend für den Sturz Mubaraks.
»Wir streiken vor allem, um unsere Solidarität mit den Protestierenden auf dem Tahrir-Platz zu zeigen«, sagte Faisal Naousha vom Streikkomitee der Misr Spinning and Weaving Company in Mahalla al-Kubra, der mit mehr als 25 000 Beschäftigten größten Fabrik Ägyptens. Die Stadt ist ein Zentrum der kämpferischen Gewerkschaftsbewegung, doch in der vergangenen Woche begannen auch Streiks in zahlreichen anderen Betrieben und Institutionen. Postangestellte, Stahlarbeiter, Busfahrer und viele andere Beschäftigte im privaten und staatlichen Sektor wollten nicht mehr für das Regime Hosni Mubaraks schuften.

Zu Boden gegangen. Langsam leert sich der Tahrir-Platz in Kairo, der das Zentrum der Proteste bildete. Mubarak ist indes schon Geschichte (Foto: PA/Leglise Bataille)Die Medien konzentrieren sich auf die sozialen Netzwerke Facebook und Twitter sowie auf das Vorbild Tunesiens. Doch ohne die sozialen Netzwerke der Lohnabhängigen hätte sich der Tahrir-Platz nicht füllen können, und die Ursachen des Aufstands liegen in Ägypten. Die Revolution sollte niemanden überraschen. Viele ältere Ägypter erzählen, dass die Verhältnisse unter Gamal Abd al-Nasser besser gewesen seien. Alle Betriebe mit mehr als 200 Beschäftigten wurden verstaatlicht, es gab eine gewisse soziale Absicherung. Ägypten war ein Einparteienstaat, es gab keine Meinungs- und Organisationsfreiheit. Doch der Lebensstandard stieg. Das änderte sich nach 1973. Unterstützt von der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds begann Anwar al-Sadat eine Privatisierungspolitik, hunderte Staatsunternehmen wurden verkauft. Das Ergebnis war ein hohes Wirtschaftswachstum, in den vergangenen Jahren betrug es durchschnittlich sechs Prozent pro Jahr. Doch gleichzeitig wuchsen Armut und soziale Ungleichheit.
Denn bei der Einparteienherrschaft blieb es, auch wenn einige Oppositionsgruppen mit einem halblegalen Status geduldet wurden. Unabhängige Gewerkschaften aber ließ das Regime nicht zu, es gab nur die Mitgliedsorganisationen der Egyptian Trade Union Federation (ETUF), die seit ihrer Gründung in den fünfziger Jahren keinen einzigen Streik unterstützt hat. Die Arbeiter hatten keine legale Möglichkeit, sich gegen die Ausbeutung und den sinkenden Lebensstandard zu wehren.
Deshalb begann im Jahr 2004 eine beispiellose Welle illegaler Arbeitskämpfe, die bis heute anhält. In den ersten vier Jahren gab es 1 900 Streiks, an denen sich etwa 1,7 Millionen Lohnabhängige beteiligten. Die Arbeitskämpfe begannen in der Textilindustrie, der bedeutendste Streik fand in den Jahren 2006 und 2007 in der Misr Spinning and Weaving Company statt. Doch auch Bau- und Transportarbeiter, Beschäftigte der Nahrungsmittelindustrie und Angestellte der U-Bahn von Kairo traten in den Ausstand. Die vom Regime kon­trol­lierte ETUF sprach sich gegen die Streiks aus und unterstützte die Privatisierungspolitik.
Ein Wendepunkt war im Dezember 2007 erreicht, als die kommunalen Steuereinnehmer nicht nur die Arbeit niederlegten, sondern auch ein dreitägiges Sit-in organisierten. Etwa 10 000 Menschen ließen sich auf der Straße in Kairo vor dem Büro des Premierministers nieder. Das konnte man nicht ignorieren, und die Regierung sah sich im vergangenen Jahr gezwungen, erstmals eine unabhängige Gewerkschaft zuzulassen.
Eine wichtige Rolle spielten NGO, die die Streiks und Proteste unterstützten. Das Regime ließ ihre Büros schließen und ihre Anführer verhaften. Die bekannteste dieser Gruppen ist das Centre for Trade Union and Workers Services (CTUWS), das seit 1990 exisitiert. Die NGO sorgten für die Unterstützung der Gewerkschaften aus anderen Ländern, und diese Unterstützung war entscheidend, vor allem, um die Regierung zu einer Milderung der Repression zu bewegen.
Die Verbindung zur internationalen Gewerkschaftsbewegung war auch wichtig in der derzeitigen Revolte. Als das Regime Mubaraks versuchte, Ägypten vom Internet abzuschneiden, waren es Mitglieder des CTUWS, die täglich Berichte an das Solidarity Center des US-Gewerschaftsverbandes AFL-CIO in Washington schickten. Die Berichte wurden aus dem Arabischen übersetzt und über Websites wie Labour Start in der internationalen Gewerkschaftsbewegung verbreitet.
Die International Trade Union Confederation (ITUC), die nach eigenen Angaben 176 Millionen Lohnabhängige vertritt, sicherte den Ägyptern »volle Unterstützung bei ihrem Streben nach fundamentalen Freiheiten und Rechten« zu. Der Verband rief zu einem internationalen Solidaritätstag am 8. Februar auf, die Mitgliedsgewerkschaften wurden aufgefordert, in aller Welt Demons­trationen vor den ägyptischen Botschaften zu organisieren. Es ist unklar, wie viele Gewerkschaften dem nachkamen. In London beispielsweise gab der Gewerkschaftsverband TUC an, die Zeit habe für die Vorbereitung einer Kundgebung nicht ausgereicht, und begnügte sich damit, der ägyptischen Botschaft einen Brief zu übergeben.
In Tel Aviv demonstrierten am 8. Februar Mitglieder zweier kleiner Gewerkschaften vor der ägyptischen Botschaft, doch der israelische Gewerkschaftsverband Histadrut beteiligte sich nicht. Die Histadrut, die der ITUC angehört, hat nicht einmal Stellung dazu genommen. Ihr Vorsitzender Ofer Eini, einer der Vizepräsidenten der ITUC, nahm an dem Treffen, auf dem der internationale Solidaritätstag beschlossen wurde, nicht teil. Offenbar folgt die Histadrut dem Beipiel der israelischen Regierung und hält sich zurück.
Die Palestine General Federation of Trade Unions (PGFTU), die palästinensische Mitgliedsgewerkschaft der ITUC, hat sich bislang ebenfalls nicht zu der Revolte in Ägypten geäußert und wollte dies auch auf Anfrage nicht tun. Doch ist es wahrscheinlich, dass sie die Proteste unterstützt. Die Beziehungen zu den offiziellen ägyptischen Gewerkschaften sind schlecht, denn gemeinsam mit anderen staatlich kontrollierten Gewerkschaften haben sie die PGFTU von regionalen Treffen ausgeschlossen, weil der palästinensische Verband mit der Histadrut »kollaboriert«. Im vergangenen Jahr sprach ein Repräsentant der PGFTU bei einer Veranstaltung des CTUWS in Kairo.
Dort wurde mittlerweile ein neuer Gewerkschaftsverband gegründet, basierend auf den Gruppen, die in den vergangenen Jahren während der Streiks entstanden und unabhängig von der ETUF sind. Während einer Pressekonferenz auf dem Tahrir-Platz sagten Repräsentanten der Textilarbeiter, der Steuereinnehmer und anderer Gruppen, dass »die Arbeiterbewegung das Herz und die Seele der ägyptischen Revolution« sei und der Aufstand mit den »Tausenden von Streiks, Sit-ins und Protesten der ägyptischen Arbeiter in den vergangenen Jahren« verbunden sei.
Es gibt keine exakten Parallelen, aber vieles erinnert an die Solidarnosc-Bewegung in Polen (Jungle World, 32/10). Wie in Ägypten gab es dort einen repressiven Einparteienstaat, dessen Gewerkschaften die Interessen der Herrschenden vertraten. Es gab aber auch ein Netzwerk von NGO, die im Untergrund in Betrieben und Stadtvierteln arbeiteten. Das Ergebnis war der Streik auf der Lenin-Werft in Gdansk im August 1980. Die Regierung war gezwungen, die Gründung der unabhängigen Gewerkschaft Solidarnosc zuzulassen, die bald darauf eine umfassende Demokratisierung forderte.
Es war ursprünglich nicht das Ziel der streikenden Textilarbeiter und kommunalen Steuereinnehmer, das repressive und korrupte Regime Mubaraks zu stürzen. Sie reagierten auf unerträgliche Arbeits- und Lebensbedingungen, und ihre Forderungen waren zunächst bescheiden. Doch die Repression politisierte die Bewegung, die Zahl der Arbeitskämpfe und Proteste nahm zu. Nun hat die Streikbewegung entscheidend zum Sturz Mubaraks beigetragen.