Sparen wie die Eiserne Lady

Auch außerhalb der Eurozone wird hart gespart. Die neue britische Regierungskoalition hat hierzu bereits ein umfassendes Programm vorgestellt. Dabei zeigt sich, in wessen politischer Tradition der neue Premier David Cameron steht: in der Margaret Thatchers.

von Eric Lee

Seine Koalition, so meint der neue konservative Premierminister Großbritanniens, David Cameron, sei etwas ganz Neues im Reich der Politik. Cameron möchte als jemand gelten, der, vereint mit den Liberaldemokraten, jenseits der Klassenpolitik der vergangenen Jahre hin zu etwas Neuem, zu etwas Besserem aufbricht. Die Financial Times charakterisierte das Regierungsprogramm als »bemerkenswert ambitioniert«, als eines, das »die Ordnung der öffentlichen Finanzen wiederherstellen, das politische System reparieren und die Macht den Betroffenen übertragen« werde.

In Wirklichkeit trifft nichts davon zu, vielmehr stellt das Programm eine Rückkehr zur Politik des Klassenkampfs in der Tradition von Margaret Thatcher dar. Das sollte niemanden überraschen, da sowohl Cameron selbst als auch seine Berater, wie etwa der Verteidigungsminister William Hague, ihre politische Laufbahn zu Zeiten Thatchers und John Majors antraten. Cameron wird oft mit Tony Blair verglichen, aber ein wesentlicher Unterschied ist, dass Blair als Außenseiter zum Labourchef wurde, während Cameron schon 1988, auf dem Höhepunkt der Thatcher-Ära, zum inneren Kreis der Tories gehörte.
Save the Queen? Nein, die wird nicht eingespart. Elizabeth II. verkündet die Sparpläne der Regierung
Save the Queen? Nein, die wird nicht eingespart. Elizabeth II. verkündet die Sparpläne der Regierung (Foto: PA/empics/Chris Harris)

In ihrer Wahlkampagne haben die Tories mit einer reichlich konservativen Agenda geworben, einschließlich einer Verringerung der Einkommenssteuer (zum Vorteil der Superreichen) und Einschnitten beim Kinderfreibetrag (als Sparmaßnahme auf Kosten der Armen). Das in einer Rede der Queen verkündete Regierungsprogramm besteht aus 23 neuen Gesetzen, die innerhalb der kommenden anderthalb Jahre beschlossen werden sollen. Außerdem kündigte die Regierung Kürzungen im Umfang von sechs Milliarden Pfund an – der erste Schritt eines massiven Sparprogramms, das die Reduktion und letztlich die Tilgung des Haushaltsdefizits von 150 Milliarden Pfund zum Ziel hat. Cameron sagte, er wolle die »Jahre der Waghalsigkeit und des starken Staates« beenden – dabei bezog er sich auf die 13jährige Regierungszeit der doch moderat agierenden Labourregierung. Mit »Waghalsigkeit« meinte er wohl deren Investitionen in Bildung und Gesundheit.

Die nun bekanntgegebenen Sparmaßnahmen sind symbolischer Natur, sie beinhalten etwa die Verpflichtung von Ministern zur Nutzung öffent­licher Verkehrsmittel. Die wirklich schmerzhaften Einschnitte werden erst mit der Verkündung des ersten Haushalts durch Schatzkanzler George Osborne kommen. Doch auch die schon jetzt bekannt gewordenen Einschnitte stellen einen Angriff auf den Wohlfahrtsstaat, die Gewerkschaften und die Arbeiter dar. Die Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes (PCS) befürchtet, dass »die heutige Erklärung nur ein Vorgeschmack auf viel Schlimmeres« sei. Der PCS-Generalsekretär Mark Serwotka sagte, die Gewerkschaft mache sich »ernsthafte Sorgen um die Angestellten vieler staatlicher Unternehmen, die am Wochenende durch die Medien erfahren haben, dass ihre Jobs in Gefahr sein könnten, die jedoch seitdem keine weiteren Informationen erhalten haben«. Die Gewerkschaft glaube weder, dass große Sparmaßnahmen notwendig oder wünschenswert seien, noch halte sie es für glaubwürdig, wenn die Regierung von »sicheren Jobs spricht, aber gleichzeitig mit der Axt loszieht, um ganze Bereiche loszuwerden«. Die PCS schließt daraus: »Diese Einschnitte werden die Wirtschaft schä­digen, zu Verlusten von Arbeitsplätzen führen und die Bereitstellung zentraler öffentlicher Dienste in einer Zeit gefährden, in der sie am meisten gebraucht werden. Ein Einstellungsstopp wird nach jahrelangem Stellenabbau die Arbeitsbelastung vergrößern und die Dienste gefährden, die unsere Mitglieder der Öffentlichkeit bieten.«

Der Generalsekretär der Gewerkschaft des öffentlichen Sektors (Unison), Dave Prentis, sagte, Camerons Regierung fröne »einer Politik des unverantwortlichen und ideologisch motivierten Angriffs auf den öffentlichen Sektor. Die sechs Milliarden Pfund Einsparungen sind nur der erste Schritt einer Sparpolitik, die die Armen, die Kranken und Schwachen trifft.« Er beschuldigte die Koalition, »abzusahnen zur Freude ihrer Freunde und Förderer in der City. Und die Kosten dieser kaltschnäuzigen Kürzungen werden von Firmen, Kommunen und Millionen Familien bezahlt, die sich gleichzeitig mit der Abschaffung von Hilfen und öffentlichen Dienstleistungen konfrontiert sehen.« Wie Serwotka ist auch Prentis besorgt, weil keine Details über die geplanten Kürzungen bekanntgegeben wurden. »Das Ausmaß des Schadens zeichnet sich erst langsam ab«, sagt Prentis und verweist auf Einschnitte von 135 Millionen Pfund bei der Polizei, von 230 Millionen beim Wohngeld und von 311 Millionen bei Bildungsförderungsprogrammen. »Das ist keine Effizienz – das ist Vandalismus«, so Prentis.

Die Regierung kündigt nicht nur Einschnitte bei öffentlichen Dienstleistungen an – auch im Post- und Gesundheitswesen sowie im Bildungsbereich stehen Reformen bevor. So werden die ersten Schritte zur Privatisierung der Royal Mail unternommen. Keiner anderen Regierung ist dies bisher gelungen. Die mächtige Gewerkschaft des Kommunikationssektors, die schon ähnliche Versuche seitens verschiedener Tory- und Labour­regierungen zurückgeschlagen hat, hat den größten Kampf offenbar noch vor sich.

Die Regierung will auch »mehr Markt« im bisher rein steuerfinanzierten staatlichen Gesundheitswesen (NHS) durchsetzen. Nicht einmal auf dem Höhepunkt ihrer Popularität hatte Margaret Thatcher es gewagt, den sehr beliebten NHS zu demontieren. Sowohl unter den Tories als auch unter Tony Blairs »New Labour«-Regierung wurde das Gesundheitswesen nur in sehr begrenztem Rahmen privatisiert. Jetzt sehen die Tories offenbar die Gelegenheit gekommen, den NHS radikaler umzubauen. Ihr Lieblingswort lautet dabei »individuelle Wahlfreiheit«. Die Gesundheitsfürsorge soll ihrer Meinung nach von einer breiten Mischung öffentlicher, privater und ehrenamt­licher Anbieter bereitgestellt werden. Unvermeidlich wird dies zur Erosion des Prinzips der allgemeinen Gesundheitsfürsorge führen, die den Verbrauchern bisher gratis zur Verfügung gestellt wurde. Großbritannien dürfte sich so auf eine Zweiklassenmedizin zubewegen.

Die Reaktionen der Wirtschaft auf Camerons Programm waren derweil sehr positiv. Eine vom Independent in Auftrag gegebene Studie verzeichnete eine starke Zunahme der Zustimmung unter Führungskräften sowohl für Cameron und Osborne als auch für die Liberaldemokraten. Die Einschnitte und Reformen werden auch vom Arbeitgeberverband CBI in den höchsten Tönen gelobt.

All das erscheint wie ein zweites 1979, ein Déjà-vu jenes Jahres, als Margaret Thatcher an die Macht kam: Eine starke Tory-Regierung baut den Wohlfahrtsstaat ab und führt Marktreformen durch, die zur Erosion des öffentlichen Sektors führen. Aber es gibt zwei wesentliche Unterschiede zwischen damals und heute. Erstens findet der Angriff der Tories auf den öffentlichen Sektor mitten in der größten Wirtschaftskrise seit 1930 statt. Wenn die Einschnitte weitergehen, ist die wirtschaftliche Erholung Großbritanniens ernsthaft in Gefahr. Eine Rezession und damit eine Vergrößerung des Elends von Arbeitenden und Armen würden damit wahrscheinlicher. Zweitens waren die Gewerkschaften 1979 mit ihren 13 Millionen Mitgliedern eine einflussreiche Gruppierung. Seither verloren sie die Hälfte ihrer Mitglieder ebenso wie den Großteil ihres Kampfgeistes. Es ist nicht sicher, ob sie die Kraft haben, die Interessen ihrer Mitglieder zu verteidigen – selbst wenn sie sich ernsthaft darum bemühten.

Aus dem Englischen von Nicola Helferich