Fahnen für die Fans

Britische und irische Gewerkschaften haben ihre Boykottaufrufe gegen Israel erneuert und verschärft, trotz der Befürchtung, dass ihre Haltung den Antisemitismus fördert.

von Eric Lee

Als wichtigstes »Zentrum der Delegitimierung« – also als Zentrum von der anti-israelischen Kampagnen wie den Aufrufen, israelische Waren zu boykottieren – bezeichnete das Tel Aviver Reut Institute (Jungle World 7/10) London. Auch andere Städte könnten solche Zentren werden, doch vor allem in London werde die Idee des »einen Staates« vertreten. »Das Konzept der Ein-Staat-Lösung wird in London stärker als irgendwo sonst diskutiert, propagiert und in alle Welt verbreitet. Dieses Konzept ist in London möglicherweise sogar populärer als in der Westbank oder in Gaza«, urteilt der Bericht. Von entscheidender Bedeutung für die anti-israelischen Kampagnen seien die Gewerkschaften. In den vergangenen Jahren »wurden sie die wichtigste Bühne für die Operationen der Netzwerke der Delegitimierung, und Israel ist auf dieser Bühne faktisch nicht mehr präsent«.

Das war nicht immer so. Doch die Auslandsbeziehungen der Histadrut, des israelischen Gewerkschaftsverbandes, hätten an Bedeutung verloren. »Bis zu den achtziger Jahren unterhielten die Histadrut und ihre internationale Abteilung ausgedehnte Arbeitsbeziehungen zu vielen Gewerkschaften in aller Welt. Doch in den vergangenen 20 Jahren ist diese Abteilung geschrumpft, nur noch drei Angestellte sind verantwortlich für alle internationalen Aktivitäten der Histadrut und der ihr angeschlossenen Organisationen.« Es sei daher notwendig, die internationale Abteilung der Histadrut wieder zu stärken und mit Gewerkschaften in aller Welt Gespräche zu führen.

Bislang aber gibt es zu wenig Widerspruch gegen anti-israelische Kampagnen. So gab es in Schottland einen starken Anstieg antisemitischer Vorfälle. Die Zeitschrift des Institute for Global Jewish Affairs veröffentlichte kürzlich eine Untersuchung, die die Befürwortung des Israel-Boykotts durch den Scottish Trades Union Congress dafür mitverantwortlich macht. »Es gab in der Geschichte wenig Antisemitismus in Schottland«, stellt der Bericht fest.

Der Antisemitismus habe sich jedoch verbreitet, »oft in Verbindung mit Ereignissen im Nahen Osten. Insbesondere die schottische Gewerkschaftsbewegung hat eine Politik des Israel-Boykotts verfolgt, ungeachtet des Dialogs mit den jüdischen Gemeinden, der darauf abzielt, beide Seiten in diesem Konflikt zu verstehen.«

Im Herbst vergangenen Jahres haben die schottischen Gewerkschaften Tausende palästinen­sischer Fahnen bei einem Fußballspiel verteilt, an dem eine israelische Mannschaft teilnahm. Die Aktion sollte an die israelische Militäroperation in Gaza erinnern. Den meisten Berichten zufolge waren diese Bemühungen weitgehend erfolglos, weil die Fußballfans wenig Interesse an der Politisierung des Sports hatten. Bei ihrem Kongress Ende April haben die schottischen Gewerkschaften dann erneut ihren Beschluss bestätigt, Israel zu boykottieren, trotz der Befürchtungen, dass diese Haltung den Antisemitismus fördert.

Der Irish Congress of Trade Unions (ICTU) veranstaltete Ende April eine internationale Konferenz über den Frieden im Nahen Osten, zu der zahlreiche Palästinenser und propalästinensische Organisationen kamen, aber nur eine Repräsentantin der Histadrut eingeladen wurde. Avital Shapira-Shabirows Vorwurf, der Kongress sei gegenüber Israel voreingenommen, führte dann zu »hitzigen Diskussionen«.

Auch die irischen Gewerkschaften nehmen eine anti-israelische Haltung ein, die ehemalige ICTU-Präsidentin Patricia McKeown griff die Gewerkschaften an, die sich weiterhin der Boykottkampagne widersetzen. Bei der Konferenz sagte sie, dass insbesondere der DGB »unter einem falschen Bewusstsein leidet«, weil er sich in der Vergangenheit gegen einen Boykott israelischer Waren ausgesprochen habe.

In Großbritannien hat sich der Trades Union Congress (TUC) schließlich entschieden, seinen Beschluss vom September vergangenen Jahres zu verwirklichen und einen Teilboykott israelischer Waren zu unterstützen, der auf Produkte beschränkt ist, die in den jüdischen Siedlungen in der Westbank hergestellt werden. Diese Entscheidung wurde von einigen gemäßigten Gewerkschaftsführern als Kompromiss oder sogar als Sieg für die pro-israelischen Gruppen gefeiert. Doch hat sich der TUC nun formell mit der Palestine Solidarity Campaign (PSC) verbündet, die die Hamas unterstützt, und eine gemeinsame Boykottkampagne gegen Israel begonnen.

Da die PSC zu einem vollständigen Boykott israelischer Waren aufruft, geht der TUC mit dem Bündnis über den eigenen Beschluss hinaus und entfernt sich von seiner bisherigen Unterstützung einer Zwei-Staaten-Lösung und der israel­ischen Arbeiterbewegung. Doch gemäßigte bri­tische Gewerkschaftsführer haben das Bündnis nicht öffentlich kritisiert, und auch Trade Union Friends of Israel, eine Gruppe, die sich für die Zusammenarbeit israelischer, palästinensischer und britischer Gewerkschafter einsetzt, blieb erstaunlicherweise schweigsam.

Doch es gibt auch positive Entwicklungen. Noch in diesem Monat will die Akademikergewerkschaft UCU erneut über Resolutionen debattieren, die zum Boykott Israels aufrufen. Doch diesmal will die Ortsgruppe Oxford einen anderen Entwurf vorlegen. Sie kritisiert, dass im vergangenen Jahr der notorische Antisemit Bongani Masuku vom südafrikanischen Gewerkschaftsverband Cosatu eingeladen wurde, um über die Boykottkampagne zu sprechen.

Masukus Hetze gegen Israelis und Juden wurde von der South African Human Rights Commission als hate speech verurteilt. Die UCU soll sich nun »von Masuku und seinen abstoßende Ansichten distanzieren« und »die gewählten Mitglieder rügen, die dafür verantwortlich waren, dass Masuku eingeladen wurde, an einem von der Gewerkschaft veranstalteten Treffen teilzunehmen«. Es ist unwahrscheinlich, dass dieser Resolutionsentwurf angenommen wird, er soll wohl eher Diskussionen provozieren. Er ist jedoch, zumal die UCU der gewerkschaftlichen Boykottkampagne den Weg bereitete, ein Zeichen dafür, dass die anti-israelische Propaganda nicht ohne Widerspruch hingenommen wird.